DIVERSITY

 

Eine Einführung aus psychologischer Sicht

 

 

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch

 

 

Mit dem Begriff „Diversity“ wird die menschliche Vielfalt im Hinblick auf Alter, Geschlecht, ethnischer und kultureller Herkunft, politischer Überzeugung, Behinderung, Religion und sexueller Orientierung bezeichnet, die es zu achten, wertzuschätzen und zu fördern gilt. Diversity ist eine Gegebenheit unserer heterogenen modernen Welt.

 

Häufig wird die Vielfalt menschlicher Existenz und verschiedener Lebensformen als irritierend und verwirrend, weil scheinbare „Selbstverständlichkeiten“ infrage stellend, erlebt. Dies führt nicht selten zu massiver Ablehnung und zur Ausgrenzung derer, die die Irritation auslösen.

 

Diversity kann im positiven Fall aber auch als Bereicherung und Chance, die kreativ zu nutzen ist, verstanden werden. In diesem Fall erfahren „Andersartige“ nicht Ablehnung, sondern Akzeptanz und Wertschätzung. Aus den verschiedenen Aspekten von Diversity wird im Rahmen dieser Veranstaltung die sexuelle Orientierung herausgegriffen, und es wird untersucht, inwiefern Diversity in diesem Bereich in der Arbeitswelt konstruktiv genutzt werden kann.

 

Diversity im Hinblick auf die sexuellen Orientierungen kann sich in folgender Weise positiv auf die Arbeitswelt auswirken:

 

1.      Angesichts des (sicher unterschätzten) Anteils von mindestens 10 % von Lesben und Schwulen in der Gesamtbevölkerung findet sich eine beträchtliche Zahl von Menschen mit gleichgeschlechtlichen Orientierungen in den verschiedenen Arbeitsteams. Akzeptanz und Wertschätzung ihnen gegenüber führen zu einem offenen Leben dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Situation entlastet sie und setzt Kräfte frei, die sie in ihrer beruflichen Tätigkeit einsetzen können.

 

2.      Eine positive Sicht der Vielfalt im Hinblick auf die sexuellen Orientierungen ermöglicht es Heterosexuellen, Lesben und Schwulen unvoreingenommen zu begegnen und sie, unverzerrt, als die wahrzunehmen, die sie wirklich sind. Umgekehrt können Lesben und Schwule in einer solchen von gegenseitiger Wertschätzung geprägten Arbeitsatmosphäre eigene Vorurteile Heterosexuellen gegenüber abbauen. Dadurch entspannt sich die Situation am Arbeitsplatz, was zu grösserer Zufriedenheit der Mitarbeitenden und zu besseren Arbeitsleistungen führt.

 

3.      Der Betrieb, der gegenüber der Vielfalt sexueller Orientierungen und Lebensweisen offen und wertschätzend ist, profitiert insbesondere von Lesben und Schwulen, die sich im beruflichen Bereich häufig in aussergewöhnlichem Masse einsetzen. Ihre grosse Anstrengungs- und Einsatzbereitschaft stellen oft eine Kompensation der von der betreffenden Person selbst nicht voll akzeptierten Homosexualität dar. Eine solche Kompensation ist selbstverständlich nicht unproblematisch, ist sie doch Ausdruck verinnerlichter homophober Bilder, die mit besonderen Leistungen entschärft werden sollen. Es ist jedoch eine Dynamik, die immer wieder bei Lesben und Schwulen zu beobachten ist, wie auch im heterosexuellen Bereich ein besonderer Leistungsehrgeiz häufig bei Menschen zu finden ist, die damit Insuffizienzgefühle – und zwar durchaus erfolgreich – kompensieren.

 

4.      Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen haben – aufgrund ihrer unterschiedlichen Sozialisation – eine „etwas andere“ Sicht von sozialen Gegebenheiten und eine „etwas andere“ Art des Umgangs miteinander. So fällt für Lesben und Schwule beispielsweise die erotisch-sexuelle Spannung zwischen Frau und Mann weitgehend weg, und es besteht deshalb im allgemeinen ein entkrampfteres Verhältnis zwischen den Geschlechtern.

 

5.      Lesben und Schwule bringen Sozialisationserfahrungen mit, die von denen Heterosexueller abweichen. So sind sie beispielsweise für Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozesse besonders sensibilisiert und setzen sich häufiger mit Genderfragen auseinander, als dies vor allem heterosexuelle Männer tun.

 

 

Wie lassen sich Wertschätzung gegenüber der Vielfalt sexueller Orientierungen erreichen und die darin liegenden Chancen nutzen?

 

1.      Es gilt, die im Betrieb bestehenden Strukturen und die darin wirksame Dynamik im Hinblick auf Homophobie und Heterosexismus zu analysieren.

2.      Es sollten die bereits bestehenden positiven Dimensionen und die negativen, die Kreativität und Effizienz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beeinträchtigenden Faktoren aufgezeigt werden.

3.      Die negativen Strukturen mit der darin wirksamen Dynamik sind abzubauen, und es sind Wege zu erarbeiten, wie die positiven Aspekte erweitert und die Motivation aller Mitarbeitenden zu konstruktiven Veränderungen entwickelt und gestärkt werden können.

4.      Es gilt, aus der Erfahrung zu lernen, dass Diversity prinzipiell, im persönlichen Bereich wie in der Arbeitswelt, eine Bereicherung ist.

 

 

 

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